Labor Demokratiebildung
Das Forschungs- und Reflexionslabor Demokratiebildung
Lebenswelten in Diktaturen und Demokratien

Das Labor Demokratiebildung ist als interdisziplinäre wissenschaftliche Einrichtung der Universität Passau in den Bereichen Forschung, Lehre und Transfer tätig. Es entwickelt insbesondere für künftige Lehrkräfte Angebote der politischen Bildung zur Stärkung einer offenen und liberalen Demokratie. Ziel ist es, Erfahrungen, Biografien und historische Zeugnisse sprechen zu lassen, damit jüngere Generationen die Wirkungen totalitärer Regime und ihrer Gefahren begreifen, ohne diese selbst durchleben zu müssen.
„Ich habe Demokratie begriffen und schätzen gelernt, indem ich sehr konkret erlebt habe, was Demokratie nicht ist. Das ist eine Erfahrung, die ich niemandem wünsche.“
Roland Jahn, früherer Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Als Bürgerrechtler und Dissident hatte er in der DDR Verfolgung und Haft erlebt. Abrufbar: https://www.kas.de/de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/schein-und-wahrheit(2017).
Der Wert von Grund- und Menschenrechten in Demokratien soll vor dem Hintergrund von Diktaturerfahrungen reflektiert werden. Die Diktaturen des 20. Jahrhunderts bilden hierbei den historischen Bezugsrahmen. Im Fokus stehen Lebenswelten von Personen, die durch den Terror der nationalsozialistischen Diktatur gezeichnet waren und den Mut aufbrachten, Widerstand zu leisten. Zudem werden Lebenserfahrungen von Menschen aus der DDR berücksichtigt, die in der SED-Diktatur die Kraft zu Resistenz und Opposition fanden.
Vor dem Hintergrund, dass liberale Demokratien und offene Gesellschaften aktuell weltweit durch autokratische Regime mit expansiven Machtansprüchen zunehmend unter Druck geraten, sollen auch Erfahrungen aus heutigen totalitären Systemen berücksichtigt werden.
Das Labor Demokratiebildung wird neben der Forschung und Lehre auch Bildungsangebote für die Öffentlichkeit entwickeln. Durch eine Kooperation mit der Reiner und Elisabeth Kunze Stiftung werden künftig Ausstellungen und Veranstaltungen in einem geplanten Ausstellungs- und Dokumentationshaus in Obernzell-Erlau möglich sein.
Seit seiner erzwungenen Ausreise aus der DDR 1977 lebt der weltweit rezipierte Dichter Reiner Kunze in Erlau und damit seit fast 50 Jahren in der Nähe von Passau. Seine Lebenszeugnisse erzählen von Resistenz und Widerstand gegen totalitäre Systeme. Seine knappen, auf das Wesentliche reduzierten Texte waren in der DDR bald verboten, wurden jedoch heimlich vervielfältigt und von Hand zu Hand gereicht. Sie schildern Lebenswirklichkeiten im Sozialismus – jenseits der Konformität – und wirken zeitlos in dem Bemühen, Diktaturen etwas Humanes entgegenzusetzen. Die Poesie, die Kunst und das Schöne gaben dem Dichter Reiner Kunze die Kraft, trotz Verfolgung und staatlicher Repression in der DDR für die Freiheit des Einzelnen einzustehen.
Bereits in den 1970er und 1980er Jahren nahm Kunze in der Bundesrepublik ein fehlendes Bewusstsein über den Wert der persönlichen Freiheit wahr:
„In den ersten Jahren nach unserer Übersiedlung habe ich einmal gesagt, manche Leute in der Bundesrepublik wüßten nicht, was sie haben, und einige können mir das bis heute nicht verzeihen. Leider sehe ich keine Veranlassung, meine Meinung zu revidieren. Manche wissen in der Tat nicht, was sie an Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit nicht haben, welcher ideologischen Indoktrination sie nicht ausgesetzt sind, was ihnen an Einklagbarkeit ihrer Rechte nicht vorenthalten wird oder was sie an Möglichkeiten, ein geistig angeregtes Leben zu führen, nicht entbehren. Sie wissen nicht, wie sie nicht entmündigt werden, wie sie letztlich nicht gezwungen sind[,] mitzulügen, und was ihnen bisher an Angst erspart geblieben ist.“
Reiner Kunze, Konsequenz Leben - Schriftsteller sein im geteilten Deutschland. In: "Das weiße Gedicht" (1989) Essaysammlung von Reiner Kunze
Gemeinsam mit seiner bereits verstorbenen Frau Elisabeth Kunze hat Reiner Kunze entschieden, dass das jetzige Wohnhaus in Erlau künftig in eine Stätte der Zeitzeugenschaft und ein Ort des Schönen umgewandelt werden soll, in dem Themen wie Freiheit, Verantwortung und Menschlichkeit begreifbar werden.
Das Bewusstsein über den Wert persönlicher Freiheit kann durch die Auseinandersetzung mit Diktaturerfahrungen gestärkt werden. Es gibt zahlreiche Lebensgeschichten, die vom Mut Einzelner erzählen können, die sich auch in totalitären Regimen für Humanität und Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eingesetzt haben. Manche dieser Lebenswelten sind bekannt, andere kaum. Für die Forschung und für die politische Bildung gibt es hier vielfältige Anknüpfungspunkte, um Unterschiede im Verhältnis des Staates zum Einzelnen in Diktaturen und in Demokratien erkennen, verstehen und vermitteln zu können.
Über die Einweihung des Demokratielabors wurden von der Passauer Neuen Presse als auch der Elisabeth-und-Reiner-Kunze-Stiftung ausführliche Berichte veröffentlicht. Zusätzlich hat die Universität Passau eine Pressemitteilung online gestellt.