Zum ersten Mal fand die diesjährige Tagung der Southeast Asia Library Group an der Universität Passau statt. Der Lehrstuhl Kritische Entwicklungsforschung – Südostasien richtete die hybride Veranstaltung aus, die von Teilnehmern aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indonesien, Kambodscha, den Niederlanden, Nigeria, Norwegen, Österreich, den Philippinen, der Schweiz, Thailand und den USA besucht wurde.
Das Programm begann mit einer Führung durch die Historische Jesuitenbibliothek in Passau, die Sammlungen von Büchern aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert, Skulpturen, Globen, Ethnographika sowie eine kleine Wunderkammer beherbergt. Im Anschluss stellten der Vorsitzende Holger Warnk und die stellvertretende Vorsitzende Jana Igunma der South East Asia Library Group die Arbeitsgruppe und ihre Aktivitäten im gut besuchten Forschungskolloquium zu Südostasien vor.
Der Freitagmorgen begann mit einer Führung durch die Zentralbibliothek, geleitet von der Bibliotheksmitarbeiterin Hafsa Idrees. Sie zeigte den Besuchern die südostasiatischen Sammlungen, das Magazin sowie den Lounge-Bereich der Bibliothek. Anschließend eröffnete Prof. Dr. Martina Padmanabhan die Konferenz offiziell mit einer Begrüßungsrede, gefolgt von insgesamt 15 Vorträgen, die über den Freitag und den Samstagvormittag verteilt waren. Die verschiedenen Präsentationen gaben Einblick in die vielfältigen und oft übersehenen Aspekte südostasiatischer Bibliotheks- und Archivbestände und die Auseinandersetzung mit ihnen. Die Veranstaltung bot ein breites Spektrum an Beiträgen, die komplexe Zusammenhänge zwischen Geschichte, Wissensproduktion, kolonialen Hinterlassenschaften und aktuellem Zugang im Kontext von Bibliotheken und Sammlungen beleuchteten.
Der Eröffnungsvortrag betonte die Bedeutung der Oral History auf den Philippinen. Es folgte ein Vortrag über die Rolle von Bibliotheken in der Kolonialzeit in Französisch-Indochina, in dem aufgezeigt wurde, wie Bibliotheken als Instrumente kolonialer Propaganda und Machtausübung fungierten. Eine weitere Präsentation lenkte die Aufmerksamkeit auf Schulbibliotheken – ein häufig vernachlässigtes Thema in der Forschung – und argumentierte für deren wissenschaftliche Relevanz. Der anschließende Vortrag über umkämpftes Kulturerbe und den Zugang lokaler Gemeinschaften in Banglumpoo, Bangkok, warf Fragen zur Rolle der lokalen Bevölkerung bei der Bewahrung und Deutung von Kulturerbe auf.
Ausgehend von persönlichen Erfahrungen diskutierte eine ehemalige Studentin der Universität Passau, heute Dozentin, Herausforderungen und Strategien, Studierenden der ersten Semester akademische Literatur über Südostasien näherzubringen. Zwei Vorträge widmeten sich Shan-Handschriften aus Birma, die sich heute in Großbritannien befinden, und unterstrichen deren historischen Wert. Ein weiterer Beitrag stellte Bemühungen zur Dekolonisierung der Sammlungen und Archive der ETH Zürich vor und beleuchtete institutionelle Strategien zum Umgang mit kolonialen Hinterlassenschaften.
Ein Thema war auch das verlorene Wissen, das anhand von Listen aus dem 18. und 19. Jahrhundert über verschollene malaiische Handschriften behandelt wurde – Texte, deren Verbleib bis heute unbekannt ist. Ein weiterer Vortrag stellte südostasiatische Manuskripte vor, die sich an der Universität Oslo befinden – einer Institution, die nie ein Studienprogramm zu Südostasien hatte. Diese Manuskripte waren zwar seit über 70 Jahren in den Katalogen verzeichnet, blieben jedoch weitgehend unbeachtet.
Ein weiterer Programmpunkt war die Vorstellung der Sammlung südostasiatischer visueller Kunst in der British Library. Es folgten Präsentationen zu südostasiatischen Materialien in nicht-südostasiatischen Sprachen. Zwei Vorträge beschäftigten sich mit Sammlungen in chinesischer und indischer Sprache, die in Berkeley bzw. Frankfurt aufbewahrt werden, und thematisierten die Herausforderungen, mit denen Bibliothekare bei der Sammlung konfrontiert sind. Den Abschluss bildeten zwei Fallstudien zu Sammlungen in der Britisch Library: eine zu illustrierten burmesischen Handschriften und eine zur Katalogisierung von Khmer-Handschriften.
Im Anschluss an die Vorträge traf sich die Southeast Asia Library Group erneut zur SEALG-Mitgliederversammlung. Die Mitglieder berichteten über ihre Aktivitäten seit dem letzten Treffen und diskutierten verschiedene Themen im Zusammenhang mit der Arbeit der Bibliotheksgruppe. Insgesamt bot die Konferenz eine spannende und facettenreiche Auseinandersetzung mit südostasiatischen Sammlungen und förderte den Dialog über Zugang, Repräsentation und die Zukunft archivalischer Forschung in Südostasien sowie an verschiedenen Institutionen in Europa und Nordamerika.