Beschweigen von Massenverbrechen
Aus der Beobachtung heraus, dass eine Vielzahl westlicher Staaten keine Stellung zu aktuellen Massenverbrechen bezieht, steht außenpolitisches Schweigen im zentralen Fokus des Forschungsprojektes der Professur. Forschende an der Professur setzen sich mit ontologischen, epistemologischen und methodologischen Fragen rund um das Thema außenpolitisches Schweigen auseinander, mit dem Ziel einer Theoriengenerierung. Sie beleuchten dahingehend das Verhalten sowie den Diskurs westlicher Staaten im Hinblick auf aktuelle und historische Massenverbrechen. Dabei reichen die empirischen Untersuchungen von aktuell begangenen Gräueltaten in Syrien, Myanmar und Jemen bis hin zu Verbrechen aus Kolonialzeiten.
"Ethnische Säuberungen" in Myanmar, Kriegsverbrechen im Jemen, schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Südsudan, mutmaßlicher Genozid in China – weltweit finden nach wie vor Massenverbrechen statt. Insbesondere nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs verschrieb sich die internationale Staatengemeinschaft der Ächtung solcher Massenverbrechen. Trotzdem gelang es im Ganzen nicht, diesen vorzubeugen, ihnen Einhalt zu gebieten und eine anhaltende ‚Nachsorge‘ vorzunehmen. Im Vorfeld von adäquaten politischen Maßnahmen bräuchte es hierzu politische und mediale Debatten, doch diese bleiben häufig aus. Dies lässt sich am Beispiel Deutschlands veranschaulichen: Trotz der historisch begründeten "deutschen Verantwortung" und der beispiellosen Aufarbeitung der Verbrechen des Holocaust, umhüllt ein Mantel des Schweigens die deutsche Außenpolitik gegenüber aktuellen Massenverbrechen. Dieses außenpolitische Schweigen ist jedoch nicht nur in Deutschland beobachtbar, sondern führt auch jenseits des deutschen Falls zu zahlreichen theoretischen, konzeptionellen und methodischen Forschungsdesideraten.
Seit 2018, und vertieft im Rahmen eines Forschungspools seit 2019, beschäftigen sich Forschende der Professur mit der Thematik von Schweigen in der Außenpolitik. Daraus entstanden ist eine systematische Literaturdatenbank, welche Literatur zu Stille/Schweigen in den Sozial- und Geisteswissenschaften (Philosophie, Theologie, Psychologie, Geschichtswissenschaften, Memory Studies, Soziologie, Kommunikationswissenschaften, Kulturanthropologie, Interkulturelle Kommunikation, Politikwissenschaft) beinhaltet.
Die gesamte Thematik wird in der Außenpolitikforschung bislang nur marginalisiert behandelt. Das Projekt fokussiert deshalb die Schnittstelle zwischen Massenverbrechen, Schweigen und Außenpolitik. Ziel ist es, nationale Außenpolitiken in Ihrer Gesamtheit, also auch im Hinblick auf Schweigen und Stille, zu fassen und zu verstehen. Dabei finden insbesondere folgende Leitfragen Beachtung:
Was ist außenpolitisches Schweigen?
Wie ist außenpolitisches Schweigen methodisch fassbar?
Wann werden außenpolitische Ereignisse (Massenverbrechen) ver-/beschwiegen?
Warum werden außenpolitische Ereignisse (Massenverbrechen) ver-/beschwiegen?
Für Interessierte finden sich unter Aktuelles regelmäßig Veranstaltungen und teil-öffentliche Workshops zum Thema. Für weitere Informationen zum Forschungsprojekt und die Möglichkeit von Kooperationen steht Prof. Dr. Bernhard Stahl gerne zur Verfügung.
Studierende sind herzlich eingeladen, aktuelle Lehrveranstaltungen zum Thema zu besuchen. Prof. Dr. Bernhard Stahl ist darüber hinaus an der Betreuung von Abschlussarbeiten zu Schweigen, Massenverbrechen und Außenpolitik interessiert. Weitere Informationen zum Verfassen von Abschlussarbeiten finden sich hier.
Publikationen und aktuelle Arbeitspapiere
- Hering, Robin/Stahl, Bernhard (2022). When mass atrocities are silenced: Germany and the cases of Yemen, South Sudan, and Myanmar. Journal of International Relations and Development. https://doi.org/10.1057/s41268-022-00254-2
- Augsten, Pauline/Glassner, Sebastian/Rall, Jenni (2022): The Myth of Responsibility. Colonial Cruelties and Silence in German Political Discourse. In: Global Studies Quaterly 2(2), 1-12. doi.org/10.1093/isagsq/ksab040
- Stahl, B. (2020, Dezember 10). Lautes Schweigen. IPG-Journal. https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/lautes-schweigen-4860/
- Hering, R. & Stahl B.: From Kosovo Rush to Mass Atrocities' Hush. German Debates in Historical Perspective (i.E.)
Weitere aktuelle Teilprojekte und Themenschwerpunkte:
- Beschweigen von Kolonialverbrechen (Fallstudie: Maji Maji Rebellion)
- Schweigen in der britischen Außenpolitik (Fallstudien: Jemen, Südsudan, Myanmar)
- Schweigen in der deutschen Außenpolitik (Fallstudien: China, Jemen, Südsudan)
- Theorie zu Stille/Schweigen in der Außenpolitik
- Methoden zur Erforschung von außenpolitischem Schweigen
Aktuelles
Aktuell im Forschungsfokus stehen empirische Fallstudien zum Beschweigen von Massenverbrechen durch die deutsche, französische und britische Außenpolitik. Daneben wird an einer theoretischen Konzeptionalisierung von Stille/Schweigen in der Internationalen Politik und an der Erstellung eines „Methoden-Pools“ gearbeitet, um Stille/Schweigen insbesondere im Kontext von Massenverbrechen fassbar zu machen. Im Austausch mit anderen Forschenden wird die Vernetzung mit angrenzenden Disziplinen sowie mit ExpertInnen aus der Praxis durch Veranstaltungen, Workshops und Treffen vorangetrieben.
Im Folgenden finden Sie Berichte zu aktuellen Veranstaltungen sowie zum Projektfortschritt:
Am 03. Und 04. Juni 2021 veranstaltete die Professur einen Workshop zum Thema (Be-)Schweigen von Massenverbrechen mit dem Titel „When the West Falls Silent“. Der 2-tägige Workshop hatte dabei zum Ziel, Forschende zur Thematik von Schweigen und Massenverbrechen zusammenzubringen und theoretische, wie empirische Zugänge zu sammeln und zu diskutieren. Die eingeladenen Referent:Innen umfassten Dr. Sophia Dingli (University of Glasgow), Prof. Dr. Erica Resende (Brazilian War College), Dr. Elisabeth Schweiger (University of York) und Dr. Melani Schröter (University of Reading) sowie MdB Margarete Bause (Bündnis 90/ Die Grünen). Der erste Tag war insbesondere den theoretischen Zugängen und Konzeptualisierungen von Schweigen gewidmet. Am zweiten Tag wurde dann die professureigene Forschung vorgestellt und mit der Teilnahme von Frau Bause, ein Einblick in die politische Praxis zum Beschweigen von Themen (insbesondere hier den Verbrechen an den Uighuren in China) gegeben. Wertvoller Input für das Forschungsprojekt „Beschweigen von Massenverbrechen“ und dessen weitere Ausrichtung erreichte uns an beiden Tagen durch die Beteiligung der ReferentInnen und weiteren Interessierten. Nachfolgend konnte so die Ausrichtung des Forschungsprojekts finalisiert, und das weitere Vorgehen in Kontext gesetzt werden. Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden und hoffen auf eine baldige Fortsetzung.
Zur genaueren Übersicht finden Sie hier das Programm des Workshops: Link